Gemäss den neuesten schweizweiten Studien leiden Jugendliche mehr als je zuvor, insbesondere junge Frauen. Wie nehmen Sie das wahr? Wie geht es der Jugend?
Andreas Wyss: Kaum ein Tag vergeht, an dem in den Medien nicht ein düsteres Bild der Jugend gezeichnet wird. Es gehe ihr schlecht und psychische Probleme würden massiv zunehmen. Dabei vergisst man zuweilen, dass die Mehrheit der Jugendlichen ihren Weg geht und krisenhafte Phasen auch Teil der Jugend, ja Teil des Lebens sind.
Zurücklehnen dürfen wir uns aber nicht, denn die Jugend ist auf gute Rahmenbedingungen und definitiv auch auf Hilfsangebote angewiesen. Mir persönlich bereitet jedoch insbesondere das allgemeine gesellschaftliche Umfeld Sorgen, in dem heute Jugend stattfindet. Hier sehe ich Entwicklungen, auf die es keine einfachen Antworten gibt.
In Umfragen leiden Mädchen wie Jungen vor allem unter Schulstress und der Angst, nicht zu genügen, aber auch unter Zukunftsängsten. Was genau belastet die Jugend?
Vor 50 Jahren konnte man mehrheitlich darauf vertrauen, dass es den eigenen Kindern einmal besser gehen würde als einem selbst. Wie dieses Besser aussah, blieb immer vage und wurde je nach Lebenslage und individuellem Lebensentwurf anders ausgelegt. Es war vor allem ein Versprechen und sorgte für gesellschaftlichen Zusammenhalt sowie allgemeines Vertrauen in die Zukunft.
Dieses Vertrauen in die Zukunft ist weg: Der Klimawandel hat massive und vielschichtige gesellschaftliche Auswirkungen. Unser Gesellschaftsmodell, die liberale Demokratie, wird weltweit zurückgedrängt und steht in Konkurrenz zu autokratischen Systemen – auch bei uns in Europa. Und nicht zuletzt fordert uns die Digitalisierung schon heute in einem Ausmass, welches an die Industrialisierung erinnert.
Sinnbildlich für das Fehlen von Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft steht die Selbstbezeichnung eines Teils der Klimabewegung als «die letzte Generation». Es scheint aktuell wenig Raum für Zuversicht und utopische Zukunftsaussichten zu geben. Kinder und Jugendliche sind aber auf den Glauben an das Gute angewiesen. Wie sonst können sie Vertrauen in die Welt aufbauen?